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Biologische Zustandseinschätzung der Ostsee 2002

Im Rahmen des HELCOM-Monitorings wurden Daten über die Artenzusammensetzung und Biomasse bzw. Abundanz des Phyto- und Zooplanktons sowie des Makrozoobenthos des Jahres 2002 von der westlichen Ostsee bis in die östliche Gotlandsee (Abb. 1) gewonnen. Sie werden im Zusammenhang mit Satelliten- sowie schiffsgebundenen physiko-chemischen Daten vorgestellt und diskutiert. Dabei werden Vergleiche mit den Vorjahren gezogen, um eventuelle Trends abzuleiten. Zur Vervollständigung der saisonalen Angaben der Phytoplanktondynamik werden Daten von Sinkstoff-Fallen des Jahres 2001 aus dem Gotlandbecken herangezogen. Die auf 5 regulären Monitoringfahrten basierende Datenreihe wird ergänzt durch Proben, die uns vom Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein (LANU) und dem National Environmental Research Institute Roskilde (Dänemark) zur Verfügung gestellt wurden. Dadurch kommen wir auf bis zu 20 Probentermine pro Station (Tab. 1).

In der Mecklenburger Bucht (Abb. 4a, c) und der Arkonasee (Abb. 5a, b) hatte sich die Frühjahrsblüte bis Ende März 2002 gebildet (Abb. 2) und war Anfang April im Rückgang begriffen. In der Bornholmsee (Abb. 5c) stieg sie bis Anfang April noch an, und in der östlichen Gotlandsee (Abb. 6 b) wurde ein Maximum erst am 8. Mai registriert. In der Lübecker Bucht (Abb. 4b) dürfte am 27.3.02 das Biomasse-Maximum der Frühjahrsblüte mit etwa 5,4 g m-3 fast getroffen sein. Die Station OB in der Pommerschen Bucht (Abb. 6a) weicht als flußwasserbeeinflußte Küstenstation von den Stationen der offenen See deutlich ab. Hier wurde ein Biomassemaximum, hauptsächlich aus Diatoma elongatum, erst am 4.5.02 registriert. Selbstverständlich werden die wahren Spitzen der Blüten wegen der zu großen Zeitabstände zwischen den Probennahmen meistens verfehlt. Die Nährstoffabnahme im Wasser ist ein hilfreicher Indikator für ein vorangegangenes Algenwachstum.

Die Frühjahrsblüte wurde im Jahre 2002 im allgemeinen von der Kieselalge Skeletonema costatum gebildet. In der zentralen Mecklenburger Bucht (Stat. 012) und der Lübecker Bucht folgte auf die Skeletonema-Blüte Dictyocha speculum, in der östlichen Mecklenburger Bucht (Stat. 046) Dinophysis baltica und in der zentralen Arkonasee (Stat. 113) und der Pommerschen Bucht (Stat. OB) Mesodinium rubrum. Die in der späteren Phase der Frühjahrsblüte zu erwartenden Dinoflagellaten entwickelten sich in der Arkonasee (Abb. 5a, b) und Bornholmsee (Abb. 5c) nur schwach. Insofern scheint die seit 1989 beobachtete Ausbreitung von Dinoflagellaten seit dem Jahre 2000 zurückgedrängt zu sein. Lediglich in der östlichen Gotlandsee blieben die Dinoflagellaten (Peridiniella catenata) neben dem seit 1999 verstärkt auftretenden Ciliaten Mesodinium rubrum der wesentliche Bestandteil der Frühjahrsblüte (Abb. 6b). Die leichte Silikatabnahme zeigt an, daß auch hier ein gewisses Kieselalgenwachstum stattgefunden haben muß, was in der Gotlandsee in der 90er Jahren kaum beobachtet worden ist.

Im Sommer kam es in der Mecklenburger Bucht (Abb. 4a-c) und der westlichen Arkonasee (Stat. 030, Abb. 5a) zu der erwarteten Blüte von Dactyliosolen fragilissimus, während eine Cyanobakterienblüte in der Mecklenburger Bucht nicht auftrat. Schwache Oberflächenblüten von Cyanobakterien wurden nur bei windstillem Wetter in der nördlichen Arkonasee, nördlichen Bornholmsee sowie der nördlichen und südöstlichen Gotlandsee Ende Juli beobachtet. Aus Satellitendaten lässt sich schließen, dass der Höhepunkt der Blüte zum Zeitpunkt der Monitoringfahrt längst vorüber war (Abb. 3). Die Cyanobakterienblüte begann bereits Ende Juni nordwestlich von Gotland und breitete sich dann über die Gotlandsee und schließlich Mitte Juli bis in die Bornholmsee und die Arkonasee aus.

Die Mecklenburger Bucht war im Herbst hauptsächlich durch Dinoflagellaten (Ceratium tripos, in der Lübecker Bucht auch Prorocentrum minimum) und diverse Kieselalgen (Coscinodiscus granii, Cerataulina pelagica) in stark schwankenden Abundanzen gekennzeichnet. Das häufige Vorkommen von Ceratium-Arten bis zur Station 030 spricht für eine biologische Grenze zwischen den Stationen 030 und 113 (Abb. 21). Die für den Herbst typische Blüte von Coscinodiscus granii war nur schwach entwickelt.

Die wichtigsten Phytoplanktonarten jeder Saison sind für jedes Seegebiet in Tabelle 3 zusammengestellt. Eine komplette Artenliste des Jahres 2002, einschl. eines saisonalen Indikators, findet sich in Tabelle 4.

Die Sedimentation organischen Materials in der Gotlandsee konnte im Jahr 2001 nur verläßlich in der Frühjahrs- und Herbstzeit gemessen werden. Aufgrund einer Verstopfung des Fallentrichters sind die Spätfrühjahrs/Sommerwerte in nur einem Wert zusammnegefasst. Ein Teil des Materials ging verloren. Dadurch ist die zu errechnende Jahressedimentationsrate, niedriger als in den Vorjahren. Die schnelle Sedimentation eines ersten Teils der Diatomeenblüte im Frühjahr ist in allen Variablen deutlich zu sehen. Ein weiterer hoher Sedimentationsschub von vorwiegend Diatomeen erfolgte wahrscheinlich im Mai und führte zur Verstopfung des Fallentrichters (Abb. 7a). Der typische hohe Eintrag von diazotrophen Cyanobakterien konnte mikroskopisch nicht mehr nachgewiesen werden, da das Material auf Grund der fehlenden Fixierung nicht in seiner Ursprungsform erhalten blieb (Abb. 7c, d). Die niedrigen delta 15N-Signaturen im Rückstand des Sommermaterials deuten jedoch auf einen hohen Eintrag von Kohlenstoff hin, der durch stickstoffixierende Cyanobakterien produziert wurde (Abb. 8). Schalen der mit diesen Aggregaten oft vergesellschafteten pennaten Diatomeen wurden im Rückstand nicht gefunden, was sich auf die höhere Aufnahme des gelösten Silikats durch die Frühjahrsblüte von Diatomeen erklären läßt.

Im Herbst steigen die 15N-Werte und zeigen damit konvektive Prozesse in der Wassersäule an, die neben isotopisch schwerem Nitrat auch wieder Silikat in die Oberflächenschicht transportiert haben. In der Folge finden sich als Herbsteintrag wiederum vorwiegend Diatomeen in den Sinkstoffallen (Abb. 7a), was durch entsprechende Maxima im partikulären Silikat indiziert wird (Abb. 11). Insgesamt ergibt sich der Eindruck, daß der in den Vorjahren beobachte Trend zur Reduktion des Diatomeenplanktons sich wieder umkehrt.

Die Gesamtsummen lagen für die einzelnen Elemente bei 216 mmol C, 25 mmol N, 43 mmol Si und 0,88 mmol P pro m2 und Jahr. Der Massefluß betrug im Jahr 2001 15 g Trockenmaterial pro Jahr. Dieses steht unter dem Vorbehalt der wahrscheinlich hohen Verluste in der Frühjahrs/Sommerperiode. Der sedimentäre Kohlenstoffeintrag lag mit 2,6 g C m-2 a-1 in diesem Jahr mehr als 1/3 unter dem für alle bisherigen Beobachtungsjahre relativ konstanten Bereich von 4-6 g Kohlenstoff m-2 a-1.

Die jahreszeitliche Entwicklung der Phytoplankton-Gesamtbiomasse ist auch anhand der Chlorophyll a -Konzentrationen verfolgt worden. Die über die obersten 20 m der Wassersäule integrierten Chlorophyll a- und Phaeopigment a -Konzentrationen der einzelnen Messtermine sind in Tabelle 5 zusammengestellt. Die Saison- und Jahresmittelwerte der Chlorophyll a-Konzentration in der eigentlichen Ostsee sind in Tabelle 6 mit den entsprechenden Werten der 3 vorangegangenen Jahre verglichen. Die Frühjahrs- und Sommerwerte zeigten im Vergleich mit den Jahren 2000 und 2001 einen Anstieg, die Herbstwerte eine Abnahme.

Bei Nutzung aller zur Verfügung stehenden HELCOM-Daten seit 1979 ergibt sich für die Mecklenburger Bucht ein abfallender Trend (Abb. 19a) und für die Arkonasee ein ansteigender Trend der Chlorophyll a -Konzentrationen (Abb. 19b). Die tendenziellen Anstiege der Chlorophyll a -Konzentrationen in der Bornholmsee (Abb. 20a) und östlichen Gotlandsee (Abb. 20b) sind nicht signifikant für p = 0.05.

Die seit 1989 oder 1990 in der südlichen Ostsee beobachtete Tendenz eines Verdrängens der Kieselalgen durch Dinoflagellaten in der Frühjahrsblüte kehrte sich ab dem Jahre 2000 um. Die Frühjahrs-Kieselalgen haben sich in der Bornholmsee, Arkonasee und der Mecklenburger Bucht wieder stärker entwickelt, während die Dinoflagellaten zurückgegangen sind (Abb. 14a, 15a, 16a). Selbst in der östlichen Gotlandsee gibt es Anzeichen für eine gewisse Kieselalgen-Entwicklung auch im Frühjahr 2002 (Abb. 17a). Der seit 1999 insbesondere im Winter und Frühjahr dominante Ciliat Mesodinium rubrum geht seit dem Jahre 2000 wieder zurück (Abb. 15a, b - 18 a, b). Die sonst im Herbst blütenbildende Kieselalge Coscinodiscus granii bildete nur eine schwache Blüte aus (Abb. 21c).

Die regionale Verteilung der wichtigsten Phytoplanktonarten wird im Kapitel 5.1 diskutiert (Abb. 21). Insbesondere wird anhand der Grenzen des Auftretens von Blüten von Dactyliosolen fragilissimus, Ceratium tripos und stickstofffixierenden Cyanobakterien die Frage aufgeworfen, wo die biologische Grenze zwischen Beltsee und Arkonasee zu ziehen wäre.

Im Mesozooplankton führten im Jahre 2002 Cladoceren die Dominanzliste an mit 0,5 Mill. Ind. m-3 in den oberen 8 m der Bornholmsee, im August. Gegenüber den Vorjahren bedeutet dies eine Verfünffachung. Marine Arten begleiteten die Salzwassereinschübe und indizierten in einigen Fällen im Oktober den Weg über den Sund in die Arkona- und Bornholmsee. Zwei calanoide Copepodenarten, Centropages hamatus und Temora longicornis, waren zu allen Messterminen auf allen Stationen präsent. Acartia bifilosa war 2002 die dominante Art, gefolgt von T. longicornis. Pseudocalanus spp. spielte eher eine untergeordnete Rolle. Das für die Besiedlung des Benthals wichtige Meroplankton erwies sich im Vergleich zur steigenden Tendenz der Vorjahre wieder rückläufig, vornehmlich auf Kosten der Muschellarven.

Langzeituntersuchungen (1979-2002) in der zentralen Arkonasee (Stat. 113) und östlichen Gotlandsee (Stat. 271) verdeutlichen im Mittel: In der obersten Probenentnahmeschicht sind 2/3 der Abundanz lokalisiert, unabhängig von der darunter liegenden Wassertiefe. Ausgehend vom langjährigem Mittel von rund 30 000 Ind. m-3 lag die Abundanz 2002 in der obersten Schicht auf Station 113 um ca. 40% und auf Station 271 um etwa 50% höher. Diese Tendenz deutete sich in der Gotlandsee bereits im Vorjahr an. Unterhalb der obersten Schicht variiert die Abundanz in der Arkonasee weniger als in der Gotlandsee aufgrund unterschiedliche Wassertiefe und Hydrographie. Der Jahresgang verläuft in der obersten beprobten Zone mit zwei Gipfeln, darunter mit drei Piks im Abstand von ca. 3 Monaten, wobei in der tiefsten Zone der Gotlandsee ein steigender Trend bis zu einer Maximal-Abundanz im November hinzukommt, als Zeichen eines zeitlich und qualitativ differenzierten Nahrungsgewebes.

Die Artenzahl des Makrozoobenthos war mit 56 im Vergleich zu den Vorjahren drastisch gesunken (Tab. 11, Abb. 24). Diese Reduktion ist hauptsächlich auf den Sauerstoffmangel im Fehmarnbelt (Stat. 010) und in der Mecklenburger Bucht (Stat. 012) zurückzuführen. Diese Gebiete zeichnen sich ansonsten durch einen hohen Artenreichtum aus (Abb. 25). Am Beispiel der Station 012 wird die Langzeitentwicklung der Abundanz, Biomasse, Artenzahl, Diversität und Dominanz von 1983 bis 2002 dargestellt (Abb. 28). Die weiter östlich gelegenen Stationen an der Darßer Schwelle und in der Arkonasee zeigten ähnliche Verhältnisse im Benthos wie im Vorjahr. Die Sauerstoffverhältnisse im Bodenwasser waren durch die Depression im Westen nicht betroffen. Hauptsächlich die Artenzahlen waren vergleichbar. Die Abundanzen und Biomassen nahmen wie in den Vorjahren weiter ab oder waren gleich (Abb. 26, 27). Seit Jahren anhaltender Sauerstoffmangel in der Bornholmsee führte dort zu einem kompletten Artenverlust (Abb. 25-27). Die Abundanzentwicklung von Hydrobia ulvae und Macoma balthica wurde an ausgewählten Stationen für die letzten 11 Jahre dargestellt (Abb. 29, 30). Die seit einigen Jahrzehnten stark zurückgehende bzw. verschwundenen Art Monoporeia affinis (Amphipoda) konnte in der südlichen Arkonasee (Stat. 152) wie im Vorjahr bestätigt werden.

Dr. Norbert Wasmund, Dr. Falk Pollehne, Dr. Lutz Postel, Dr. Herbert Siegel, Dr. Michael L. Zettler

Vollständiger Bericht in:
Meereswiss. Ber. 56 (2003)
Wasmund, Norbert; Pollehne, Falk; Postel, Lutz; Siegel, Herbert; Zettler, Michael L.:
Biologische Zustandseinschätzung der Ostsee im Jahr 2002

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