

Biologische Zustandseinschätzung der Ostsee 2023
Im Jahr 2023 beeinflussten eine Reihe von Einstromereignissen die Umweltbedingungen in den verschiedenen Becken der westlichen Ostsee. Spuren des kalten, salzreichen Einstromes vom Dezember 2022 waren noch im Februar 2023 im Bodenwasser des Arkonabeckens sichtbar. Im Frühsommer führte ein barokliner Einstrom in der Beltsee zu einer salzreichen Boden-wasserschicht und ersetzte das kalte Bodenwasser im Arkonabecken durch warmes, aber nicht außergewöhnlich salzhaltiges Wasser. Im Dezember 2023 wurde eine verstärkte Einstrom-aktivität registriert, die als mittelgroßer Major Baltic Inflow (MBI) eingestuft wurde. 2023 wies das Oberflächenwasser in der westlichen Ostsee (Darsser Schwelle und Arkona-Boje) Temperaturen auf, die über dem langjährigen Durchschnitt lagen. Im Winter und Herbst lagen die Oberflächenwassertemperaturen etwa 1,5 K über dem langjährigen Durchschnitt. Die Sommer-temperaturen glichen dem langjährigen Durchschnitt, mit gelegentlichen Abweichungen aufgrund von Kälteanomalien im Juni und August, die wahrscheinlich durch episodische Auftriebsereignisse verursacht wurden. Die teilweise kühle und stürmische Witterung im Sommer 2023 sowie der Einstrom im Dezember 2022 führten zu einer gleichbleibend guten Sauerstoffversorgung von der Beltsee bis zur Arkonasee (Bodenwasser > 2 ml l-1). Die Konzentrationen der anorganischen Nährstoffe im Oberflächenwasser lagen im Februar 2023 im Bereich der vorherigen Dekade. Das N/P-Verhältnis des Oberflächenwassers zeigte einen abnehmenden West-Ost-Trend von der Beltsee zur Bornholmsee. Dieses Muster ähnelte dem des Vorjahres und bestätigte erneut, dass Stickstoff ein begrenzender Faktor in der zentralen Ostsee ist, der diazotrophen Cyanobakterien einen Vorteil gegenüber Primärproduzenten verschafft, die auf Nitrat angewiesen sind.
2023 wurden auf 5 Monitoringausfahrten insgesamt 29 Phytoplanktonproben an 6 Stationen in der Belt See (Kieler Bucht und Mecklenburger Bucht) und im Arkona Becken genommen. 2023 betrug die mittlere jährliche Biomasse im Untersuchungsgebiet 593,23 µg l-1. Sie war damit erheblich geringer als im Vorjahr und blieb unter dem 20-Jahresmittelwert. Die entsprechende mittlere Chlorophyll a (Chl a) Konzentration von 2,81 µg l-1 bewegte sich hingegen in der Größenordnung der vergangenen Jahre. Die jahreszeitliche Chl a Dynamik war an allen Stationen der beiden Seegebiete ähnlich. Die höchsten Chl a Konzentrationen wurden jeweils im März und November gemessen, wobei Spitzenkonzentrationen von 13 µg l-1 im März an Station N3 in der Kieler Bucht auftraten. Die Phytoplanktonbiomasse wies dort mit 4636 µg l‑1 ebenfalls die höchste Konzentration des Jahres auf. Trotz der generell sehr ähnlichen jahreszeitlichen Chl a Sukzessionsmuster in beiden untersuchten Seegebieten unterschied sich die Biomassedynamik des Phytopanktons erheblich. Sie spiegelte den zunehmenden Einfluss der niedrigsalinen Ostsee wider. Die Frühjahrsblüte der Diatomeen in der Belt See begann in der Kieler Bucht bereits im Februar, als eine Chl a Konzentration von 3 µg l-1 und eine Biomasse von 362 µg l-1 gemessen wurden. Die Phytoplanktongemeinschaft bestand zu diesem Zeitpunkt zum großen Teil aus Diatomeen, insbesondere Rhizosolenia spp., die hier mehr als 70 % der Biomasse ausmachte. Wenige Wochen später im März hatte sich die Phytoplanktonbiomasse in der Kieler Bucht verzehnfacht. Dem gegenüber war das Phytoplanktonwachstum in der Mecklenburger Bucht leicht verzögert und die Biomassekonzentrationen generell wesentlich niedriger. Diatomeen waren hier zu diesem Zeitpunkt weiterhin die dominierende Phytoplanktongruppe, jedoch machten auch Mesodinium rubrum (Ciliophora) und sein Beuteorganismus Teleaulax (Cryptophyta) einen recht hohen Biomasseanteil aus. Auch die Phytoplankton Sommergemeinschaft der Mecklenburger Bucht war sehr stark von Diatomeen geprägt, was einen marinen Einfluss zu diesem Zeitpunkt nahelegt. Jedoch machten im August auch Dinoflagellaten, insbesondere der Gattung Tripos, und Cyanobakterien größere Biomasseanteile aus. Der Spätherbst, repräsentiert durch die Novemberfahrt, war 2023 die Zeit der höchsten Phytoplanktonproduktion in der Mecklenburger Bucht mit Chl a Konzentrationen von 4,3 bis 8 µg l-1 und Biomassen von bis zu 1390 µg l-1. Im Arkona Becken war die räumliche Ausbreitung der Frühjahrsblüte in Richtung Nordosten gut in den Phytoplanktondaten repräsentiert. Die höchsten Chl a Konzentrationen des Jahres (6,3 µg l‑1 an Station K5 und 3,6 µg l‑1 an K4) und entsprechende Biomassekonzentrationen (1168 µg l-1 an K5 und 228,5 µg l-1 an K4) wurden im November im westlichen und zentralen Arkonabecken gemessen. Winter- und Frühjahrs- Chl a -Konzentrationen folgten dem typischen räumlichen Muster der Abnahme in Richtung Nordosten. Die Arkona-Phytoplanktongemeinschaft war 2023 generell stark von Mesodinium rubrum geprägt, insbesondere im Frühling. Dinoflagellaten und Cyanobakterien waren mit Biomasseanteilen von 45 % und 20 % recht stark in der Sommergemeinschaft vertreten. Im November war die Arkonagemeinschaft marin geprägt und wurde von Diatomeen wie Cerataulina bergonii und Rhizosolenia fragilissima dominiert.
Im Jahr 2023 wurden insgesamt 141 Phytoplankton-Taxa auf den Monitoringstationen der Belt- und Arkona See erfasst. Die Anzahl der Taxa war mit 81 im November am höchsten. Wie auch in den Vorjahren, waren 2023 Diatomeen die prominentesten Phytoplanker in der südlichen Ostsee. Insbesondere Rhizosolenia spp., Proboscia alata und Cerataulina bergonii waren die wichtigsten Biomasseproduzenten des Jahres 2023 in der Belt See (50 - 90 %), häufig begleitet von Dinoflagellaten (Tripos muelleri und Polykrikos schwartzii). Im Arkona Becken war Mesodinium rubrum die häufigste Art auf allen Monitoringfahrten.
Auf den 5 Monitoringausfahrten des Jahres 2023 wurde, im Vergleich zum Vorjahr, mit 15 Arten eine höhere Anzahl von potentiell toxischen oder anderweitig schädlichen Phytoplankton-Taxa als 2022 (8 Arten) erfasst. Auf der Liste befanden sich nun auch einige Warmwasserarten wie Karenia mikimotoi, Akashiwo sanguinea und Karlodinium veneficum. Die Cyanobakterienbiomasse (Cyabi), die zur Zustandseinschätzung der Ostsee herangezogen wird, wurde erstmals im Langzeitkontext für die Belt- und Arkonastationen in einem Zeitraum von 20 Jahren betrachtet. Während 2023 in der Belt See die Cyanobakterienbiomassen an den Stationen im Bereich des 20-Jahresmittelwertes oder darunter lagen, waren sie im östlichen Arkonabecken höher als der 20-Jahresmittelwert.
Im Jahr 2023 wurde das Zooplankton an 38 Stationen in der Kieler Bucht, der Mecklenburger Bucht und dem Arkonabecken beprobt. Im Gegensatz zu den Vorjahren wurde die hydrographische Situation durch eine Reihe von Einstromereignissen beeinflusst, die den Salzgehalt in der Wassersäule der Beltsee und des Bodenwassers im Arkonabecken erhöhten, aber auch zu sehr warmen Wassertemperaturen im gesamten Gebiet im Sommer führten. Die Einstromereignisse hatten jedoch nur einen geringen Einfluss auf das Arteninventar, da die Anzahl der Taxa in der Größenordnung der Vorjahre ohne größere Einstromereignisse lag (52 Taxa). Zwar wurde der Transport einiger stenohaliner mariner Taxa wie Penilia avirostris in das Arkonabecken beobachtet, ihre Anzahl war jedoch gering. Darüber hinaus fehlten im Jahr 2023 mehrere marine und Brackwasserarten, die in den vorangegangenen Jahren vorkamen, so dass die Anzahl der Taxa auf einem niedrigeren Niveau blieb. Abgesehen von Acartia tonsa wurden keine weiteren Arten beobachtet, die als nicht-einheimische Arten (NIS) eingestuft wurden.
Die Artenzusammensetzung im Jahresdurchschnitt wurde in allen Gebieten von Copepoda dominiert. Dies ist in der Beltsee üblich, aber ungewöhnlich im Arkonabecken, wo Rotifera und Cladocera im Frühjahr bzw. Sommer große Bestände aufweisen können, die 2023 fehlten. Dieser Rückgang setzt eine Reihe ähnlicher Beobachtungen seit 2019 fort und kann daher nicht auf die ungewöhnliche hydrographische Situation im Jahr 2023 zurückgeführt werden. Die Abundanz des Meroplanktons war in allen Gebieten eher gering, insbesondere während des Sommers, in dem Muschel- und Schneckenlarven gewöhnlich sehr häufig sind. In der Beltsee wurden sie durch Polychaeta Larven als häufigste Gruppe ersetzt.
Die jahreszeitliche Dynamik und die Zusammensetzung des Zooplanktonbestandes in der Kieler Bucht und in der Mecklenburger Bucht waren aufgrund ihrer Verbindung über den Fehmarnbelt sehr ähnlich. In Übereinstimmung mit den Winter-Frühjahrstemperaturen, die 2-3 °C über dem langjährigen Mittel lagen, zeigte der Zooplanktonbestand einen frühen Anstieg mit einer Verdoppelung der Bestandsgröße im März bzw. Mai. Copepoda, insbesondere die Gattungen Pseudocalanus und Oithona, dominierten das Zooplankton, gefolgt von Polychaeta-Larven und der Appendicularia Oikopleura. Im Sommer wurde ein starker Einbruch des Zooplanktonbestandes auf 15-25 % des langjährigen Mittelwertes beobachtet. Da der Salzgehalt und die thermischen Bedingungen für diese Gebiete jedoch nicht außergewöhnlich waren, könnte der Rückgang auf einen kombinierten Stress von hohen Wassertemperaturen in Verbindung mit einem Nahrungsmangel während der Sommerperiode zurückzuführen sein. Dies wird durch die Zusammensetzung der Gemeinschaft bestätigt, in der Oithona und thermophile Arten dominierten. Der Zooplanktonbestand erholte sich mit der Abkühlung im Herbst, allerdings mit nur geringen Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Gemeinschaft. Trotz der unterschiedlichen Hydrographie mit einem niedrigeren Salzgehalt in der gesamten Wassersäule ähnelten die jahreszeitliche Dynamik und die Bestandszusammensetzung des Zooplanktons im Arkonabecken denen, die auch in der Beltsee beobachtet wurden. Die Frühjahrsentwicklung war früh und wurde durch eine hohe Abundanz der Appendicularia Fritillaria im März verursacht. Wie üblich folgte die Zunahme der Copepoda von März bis Mai. Sie dominierten das Zooplankton im Frühjahr, da Rotifera ungewöhnlich selten waren und 2023 kein Massenvorkommen dieser Gruppe auftrat. Unter den Copepoda dominierte Pseudocalanus, aber auch andere Gruppen waren häufig. Auch im Arkonabecken wurde ein ungewöhnlicher Zusammenbruch des Zooplanktonbestandes im Sommer beobachtet, der mit einer geringen Abundanz von Copepoda und Cladocera einherging und wahrscheinlich durch die hohen Temperaturen in der gesamten Wassersäule verursacht wurde.
Der sommerliche Zusammenbruch des Zooplanktonbestandes in allen Gebieten hatte nur geringe Auswirkungen auf die langfristigen Schwankungen der Copepoda in der westlichen Ostsee. In der Beltsee und im Arkonabecken lag ihre jährliche mittlere Abundanz nahe dem langfristigen Mittelwert, was auf die frühe Bestandsentwicklung und die hohe Abundanz im Frühjahr zurückzuführen ist, die den Rückgang im Sommer teilweise kompensierten. Im Gegensatz zu den Copepoda wiesen die Cladocera und insbesondere die Rotifera im Jahresmittel eine eher geringe Abundanz auf. In ihrem Hauptvorkommensgebiet (Arkonabecken) sank ihr Beitrag zum Bestand auf nur 12-17 % ihres langjährigen Mittelwerts.
Im Herbst 2023 erfolgte die Beprobung des Makrozoobenthos an allen 8 Stationen entlang der deutschen Ostseeküste, beginnend in der Kieler Bucht über die Mecklenburger Bucht, die Darßer Schwelle, das Arkona Becken bis hin zur Pommernbucht. Für die meisten Stationen steht ein umfangreicher Datensatz von Herbstbeprobungen seit 1980 für die Langzeitanalyse zur Verfügung. Die insgesamt 138 Arten, die 2023 im Makrozoobenthos gefunden wurden, stellen eine relativ hohe Vielfalt dar. Die Anzahl der Arten, die jeweils an den acht Messstationen gefunden wurden, schwankte zwischen 16 und 86. Im Vergleich zum langjährigen Mittel konnte somit an allen Stationen eine durchschnittliche Artenzahl gefunden werden. Einzig in der Kieler Bucht wurde mit 86 Taxa eine überdurchschnittlich hohe Diversität festgestellt. An einigen Stationen wurden jedoch neue Arten (die in den letzten 20 Jahren an diesen Stationen nie beobachtet wurden) gefunden, z. B. Philine punctata. In allen Regionen ohne Ausnahme war das Sauerstoffangebot im Bodenwasser im laufenden Jahr höher als 2 ml l‑1. Je nach Region reichten die Abundanzen von 331 bis 6775 Ind. m-2 und die Biomasse (aschefreies Trockengewicht) von 1,8 g m-2 bis 25,2 g m-2.
Am Beispiel der Station K4 (Arkona Becken) führten wir eine Langzeitanalyse der letzten 4 Jahrzehnte durch. Dargestellt wird die langfristige Entwicklung von Artenzahl, Abundanz und Biomasse. Zur Einordnung der Ergebnisse wurden auch die Sauerstoff- und Salzgehaltswerte am Boden über diesen Zeitraum ausgewertet und teilweise dargestellt. Anhand ausgewählter Arten (Diastylis rathkei und Macoma balthica) wird exemplarisch gezeigt, welche Veränderungen stattgefunden haben und welchen Einfluss sie auf das Ökosystem haben können. Zum zweiten Mal (nach 2021) wurden die Langzeitdaten zur Berechnung des Benthic Quality Index (BQI) und damit auch des ökologischen Zustands herangezogen. Die Hälfte der Stationen befand sich im Laufe der Jahre in einem „guten“ Zustand. Drei sind im Laufe der Jahre immer als „schlecht“ bewertet worden, eine weitere zwischen "schlechtem" und „gutem“ Zustand.
An den acht Messstationen wurden insgesamt 19 Arten der Roten Liste Deutschlands (Kategorien 1, 2, 3 und G) beobachtet. Hervorzuheben wären hierbei neben regelmäßig anzutreffenden Arten wie beispielsweise Arctica islandica und Arten der Gattung Astarte, auch etwas seltener zu beobachtende Taxa wie Musculus discors, Aporrhais pespelecani, Tritia reticulata und Scalibregma inflatum.
Mit 10 war die Zahl der invasiven benthischen Arten 2023 relativ hoch. Die meisten waren bereits aus den Vorjahren bekannt. Mya arenaria und Amphibalanus improvisus sind seit mehr als hundert Jahren in der südlichen Ostsee häufig. Seit 2016 ist der Amphipode Grandidierella japonica aus der südlichen Ostsee bekannt und wurde auch während der vorliegenden Studie in der Kieler Bucht beobachtet. Die beiden Polychaeten Alitta succinea und Marenzelleria neglecta wurden in den letzten Jahren regelmäßig bei Probenahmen gefunden. Die Muschel Ensis leei, eine nordamerikanische Art, wurde 2023 zum ersten Mal auf der Darßer Schwelle (K8) nachgewiesen. Im westlichen Teil der Ostsee wird sie dagegen regelmäßiger, aber stets in geringen Dichten angetroffen. Der japanische Ranzenkrebs Nippoleucon hinumensis ist seit 2019 für die Ostsee beschrieben. Neben mehreren Nachweisen, die wir in anderen Kampagnen in der deutschen Ostsee (vor allem in Ästuaren) gemacht haben, fanden wir ihn in diesem Jahr zum ersten Mal bei Monitoring-Probenahmen in der Kieler Bucht (N3). In den letzten zehn Jahren haben wir an unseren acht Messstationen insgesamt 16 nicht-einheimische Arten (NIS) gefunden. Der langfristige Trend der letzten 10 Jahre bei den Ankünften lag bei 0,8 NIS pro Jahr.
Jährliche biologische Zustandseinschätzungen
2010 - 2019
2000 - 2009
1997 - 1999
Vollständiger Bericht in:
Meereswiss. Ber. 129 (2025)
Dutz, Jörg; Zettler, Michael L., Kremp, Anke; Paul, Carolin; Kube, Sandra:
Biological assessment of the Baltic Sea 2023