Weblog 4
Frauen - die "Seemänner" der Zukunft?
Der erste Einsatz des ROV Quest auf FS Sonne, die erste Fahrt, bei der unter Nutzung des neuen Posidonia-Systems praktisch jedes Gerät an jeder Station subpositioniert gefahren wurde, der Beginn einer hoffentlich lange anhaltenden japanisch-deutschen Kooperation - eigentlich schon genug der Neuerungen für eine Expedition. Dennoch gibt es ein weiteres Novum auf dieser Fahrt - diesmal im personellen Bereich - das einer Betrachtung wert ist. Die Seefahrt ist ein Ausbildungsberuf, und so wird auch auf FS SONNE schon seit geraumer Zeit ausgebildet. Kein leichtes Handwerk, wird doch gleichzeitig für die Arbeiten an Deck wie auch in der Maschine geschult. Zum ersten Mal in der dreißigjährigen Geschichte von FS SONNE aber gingen mit uns in Guam zwei Auszubildende an Bord, die "anders sind als die anderen" bisher - nämlich weiblich. Das ist auch für uns als Forschergruppe eine Art Revolution, denn in der Regel finden sich - abgesehen von gelegentlich an Bord fahrenden Stewardessen - Frauen ausschließlich in den Reihen der wissenschaftlichen Besatzung, und das schon seit langem und mit steigender Tendenz. Dass sich Frauen jedoch in die Crew einreihen - vielleicht eine der letzten Bastionen typischer Männerberufe - ist allerhand.
Valerie Globke und Nicole Barrio de Mendoza Vera - welch klangvoller Name - heißen sie. Während Valerie die Zeit bis Manila im Wesentlichen in der Maschine verbringt, ist Nicole an Deck tätig und ist der 8-12 Wache zugeteilt. In Manila wird dann gewechselt.
Was dem Außenstehenden - und als solcher kommt man sich selbst bei seiner zwanzigsten Seefahrt an Bord noch vor - als erstes auffällt, ist zunächst der gänzlich andere Ton, der im Umgang mit den beiden jungen Frauen herrscht. Zwar müssen sie sicherlich nicht weniger leisten als ihre vielen männlichen Vorgänger, aber das schon fast rituelle Anraunen und verbale Zusammenstauchen, das die Neulinge in der Regel in der ersten Zeit über sich ergehen lassen müssen, fehlt, ohne dass man es - als Außenstehender - vermissen würde. Nun ja, Seeleute sind meistens im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht auch eher von "der alten Schule", und so ist es auch keine Form des Verstellens oder der Rücksicht, die hier am Werke ist - das wäre eher der Fall, wenn der oft raue Ton hier einfach beibehalten würde.
Allerdings war die Reederei auch weise genug, dieses Experiment nicht mit bezüglich der Seefahrerei völlig Unbedarften zu wagen. Valerie ist gelernte Bootsbauerin, Nicole war bereits in der Ausbildung zur Nautikerin, bevor ihr die Einführung der Studiengebühren das weitere Studieren unmöglich machten. So sieht man die beiden denn auch schon nach kurzer Zeit an Bord schweißen, Kabel spleißen, Geräte einsetzen, eben alles, was zum Teil der seemännischen Ausbildung gehört. Seemännisch - spätestens hier bemerkt man, dass selbst die Sprache sich mit der Situation vertraut machen muss. Als Azubi(e)nen werden sie an Bord gemeinhin bezeichnet, im Leitstand des Maschinenraums findet sich schon nach kurzer Zeit Ulli Steins Zeichnung von der "Mauszubildenden".
Grund zur Neugier also, und so versuchen wir im Gespräch einmal herauszufinden, wer die beiden Frauen sind, die sich da in eine klassische Männerdomäne wagen, und was sie zur Seefahrt treibt. Allerdings ist dies auch in einem langen Gespräch nicht eindeutig zu klären. Aus Wilhelmshaven und aus Hamburg kommen sie, aber das alleine treibt einen noch nicht zur See. Anders als beim zweiten Steuermann Björn, der sich noch zu uns gesellt, gibt es auch keinen Seefahrer in der Familie. Erstaunlich, ist es doch eine Berufswahl, die regelmäßig, auch im Freundeskreis, zu Erklärungsnot führt. Fernweh treibt sie beide ein wenig, das Meer mögen sie, aber das einschneidende Erlebnis, das sie beide zur Seefahrt treibt, kann nicht ausgemacht werden. "Die Frage konnte ich auch beim Vorstellungsgespräch nicht beantworten" kommentiert Valerie, und Nicole nickt. In der Tat herrscht große Eintracht zwischen den beiden Frauen. Nachdem die Reederei Forschungsschifffahrt die beiden als Auszubildende angenommen hatte, haben sie bereits sechs Monate, während der überbetrieblichen Ausbildung in Rostock, zusammengewohnt. So waren sie sich auch sicher, dass sie es in ihrer engen Kammer zusammen aushalten würden. In der Tat müssen die beiden schon in ihrer Qualifikation überzeugt haben. Denn die Reederei kann bei der Ausbildung auf FS SONNE definitiv nicht mischen. Sie entschied sich also für die beiden Frauen gegen jede mögliche Kombination der zahlenmäßig überlegenen männlichen Bewerber.
"Schiffsmechanikerin" ist das Ausbildungsziel. Mit abgeschlossener Ausbildung steht einem dann der Weg offen, um in Maschine oder an Deck zu arbeiten, oder sich an der FH einzuschreiben und Nautikerin zu werden. Letzeres ist zurzeit bei beiden die Präferenz, auch wenn Valerie sich auch vorstellen kann, später doch einmal im Bootsbau tätig zu sein. Bei Nicole ist die Situation anders. Sie hat ja bereits zwei Semester Nautik hinter sich, zur Hälfte an der Universität an Land, danach ein halbes Jahr als Kadett(in) auf einem Öltanker. Da sei alles anders gewesen. Die Hauptarbeit lag dort bei der Ladung und Löschung an Land, nicht auf See, berichtet sie.
Im Gespräch stolpern wir immer wieder über Probleme bei der Wortfindung. Völlig geschlechtsunspezifisch schütteln sich der zweite Steuermann, der Fahrtleiter und die beiden Auszubildenden bei dem schon erwähnten Begriff der Kadettin; dann noch Kapitänin, Steuerfrau, beim Seemann schließlich geben wir endgültig auf. Es scheint, als sei selbst unsere Muttersprache noch ein wenig unvorbereitet auf die Situation - oder wir nicht geübt in der Ausnutzung unserer sprachlichen Möglichkeiten. Doch wir sollten vorbereitet sein - die Bastion fällt.