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Höhen und Tiefen der Meeresforschung - die emotionale Berg- und Talfahrt eines Tages 

Es hatte so ein schöner Tag werden sollen. Vor drei Tagen war nach dem sehr erfolgreichen Tauchgang 203, bei dem wir erstmals mit der benthischen Kammer direkt Umsatz- und Flussraten am Meeresboden messen konnten, leider eine schwerwiegende Störung des Orion-Greifarms des ROV aufgetreten. Ziemlich dramatisch war es, denn der Greifarm bewegte sich völlig unkontrolliert und ist aufgrund seiner Reichweite dazu in der Lage, großen Schaden am Gesamtsystem anzurichten, etwa durch eine Beschädigung einer der Kameras. Selbst ein Abriss der Hydraulik kann in diesem Zustand nicht ausgeschlossen werden. Daher war der Arm am Ende des Tauchgangs durch Schließen eines Solenoid-Ventils quasi eingefroren worden. Für die wissenschaftliche Perspektive ist der Vorgang nicht minder dramatisch. Praktisch alle Probennahme- und Meßsysteme werden von dem siebengelenkigen Arm ausgeführt. Der Riggmaster, sein zu fünf Funktionen fähiges Pendant auf der Backbordseite, ist zwar ein "Schwerstarbeiter", aber in seiner Mobilität doch sehr begrenzt. Achtundvierzig Stunden hatte es nach dem Ausfall gedauert, bis das ROV-Team zumindest an Deck wieder zufrieden sein konnte mit dem Zustand des Geräts. In dieser Zeit hatte das Achterdeck einem Feldlazarett geähnelt, nach Öffnen der Hydraulik war in der Mannschaft von FS SONNE das geflügelte Wort der "OP am offenen Herzen" aufgekommen. Ein rotes Kreuz war plötzlich auf dem Tuch erschienen, das ein wenig vor Wind und Feuchtigkeit schützen sollte. Just bei Fertigstellung hatte uns dann aber ein Sturmtief aufgesucht - weitere 24 Stunden, die mit dem konventionellen Programm, d.h. Einsatz von videogeführtem Multicorer und Schwerelot für die Sedimentbeprobung und CTD/Kranzwasserschöpfer - mittlerweile mit einer ganzen Reihe zusätzlicher Sensoren ausgestattet - für die Beprobung des Wasserkörpers über den CO2-reichen Gebieten am Meeresgrund. Viel wurde hier abgearbeitet, doch nun ist es wieder höchste Zeit, unsere gezielten Studien mit genauer Betrachtung und Probennahme weiterzuführen, die eben nur mit Hilfe des ROVs durchzuführen sind.

Alles scheint wieder im Lot zu sein - wie gesagt: ein schöner Tag sollte es werden - aus wissenschaftlicher Sicht. Der Tauchgang 204 ist im Wesentlichen der Gaschemie gewidmet. An den unterschiedlichen Gasquellen sollen direkt am Meeresboden druckdichte Proben genommen werden, das Gas gefangen und über eine Reihe von Thermistoren sogar die Reaktion von Kohlendioxid und Wasser zu Hydrat mit verfolgt werden. Daneben steht der Einsatz der "Bubble Box" auf dem Programm, eines Moduls zur Betrachtung von Gasblasen und Tropfen mit einer rückwärtigen Beleuchtung.

Gleich beim Aussetzen des ROV der erste Schlag. Die "Bubble Box" wird, trotz sorgfältigen Anbindens und zusätzlicher Sicherung mit dem Riggmaster-Arm von der Frontablage des ROV gespült, weil eine Dünungswelle in der denkbar ungünstigsten Weise die gesamte Angriffsfläche unterspült hat. Der Verlust trifft uns hart, nicht nur finanziell - ein kleiner Mittelklassewagen ist da gerade verlorengegangen, sondern auch und gerade, weil das Gerät wesentlicher Bestandteil des für den Tauchgang geplanten wissenschaftlichen Programms war.

Umso größer die Erleichterung, als sie - quasi umgehend nach Sichtung des Meeresbodens- lokalisiert werden kann. Durch die Beleuchtung ist sie über eine Entfernung von mehr als 100 m klar visuell zu orten. Unbeschädigt leuchtet sie uns in der totalen Finsternis der Tiefsee den Weg. Erneut kommt die Idee auf, demnächst eingegossene Diodenlampen regelmäßig als Orientierungshilfen für den ROV einzusetzen. Beim Versuch der Aufnahme des Geräts jedoch gleich der nächste Schock - die Reparatur des Orion-Arms war offensichtlich doch nicht so erfolgreich wie gedacht - erneut treten unkontrollierbare Bewegungen auf. Das Problem tritt augenscheinlich erst bei den hochgefahrenen Drücken beim Einsatz in der Tiefsee auf; eine gelungene Reparatur ist daher an Deck praktisch nicht abschließend zu prüfen.

Krisenmanagement gleich im Kontroll-Container. Nach kurzer Klärung der Optionen und der Aufnahme der Bubble Box, die aber nicht in eine ideale Lage für die geplanten Arbeiten gebracht werden kann, beschließen wir, aufzutauchen und einen zweiten Tauchgang noch am gleichen Tag durchzuführen. Deck und Brücke werden informiert, keiner ist verärgert über die hierdurch erforderliche Mehrarbeit - alle zeigen Verständnis für die Maßnahmen im Kampf gegen die höhere Gewalt. Jetzt zahlt es sich auch aus, dass wir seit dem ersten Defekt des Orion-Arms eine zweite Strategie verfolgt hatten. Während sich einige Mitglieder des ROV Teams der Reparatur des Arms gewidmet hatten, hatten die anderen mit den Wissenschaftlern zusammen analysiert, welches Gerät auch ohne den Orion-Arm einsetzbar sein könnte, und welche Adaptionen hierfür nötig sein würden.

So ist eine massive, steife Führung für die stabile Halterung der Box am Riggmaster-Arm bereits seit gestern vorbereitet - wir sind immer noch ungläubig, dass wir sie nun wirklich brauchen. Der anschließende verkürzte Tauchgang 205 ist ganz gezielt der Aufnahme der Größenverteilung und der Bewegung der CO2-Tropfen gewidmet und findet, nach eingehendem Filmen von austretenden Gasen unterschiedlicher Zusammensetzung und einer kurzen Exkursion zu den beeindruckend ästhetischen hydrothermalen Hot-Spots des Arbeitsgebiets Hatoma Knoll, seinen krönenden Abschluss in der erfolgreichen Verfolgung einzelner CO2-Tropfen durch die Wassersäule über Strecken von bis zu 150m. Diese Experimente werden nach Video-Auswertung eine Aussage über die Lösungsgeschwindigkeit erlauben und sind bisher erst einmal gelungen, am Monterey Bay Aquarium Research Institute in Kalifornien, einer Hochburg für Meerestechnologie mit zwei eigenen ROVs.

Doch die Euphorie bleibt überschattet von der Aussicht auf die verbleibenden Arbeitstage. Wir sind mit der Tatsache konfrontiert, dass uns für den Rest der Fahrt der Orion-Arm nicht mehr zur Verfügung steht. Eine drastische Einschränkung der Möglichkeiten, insbesondere bei der Probennahme. Neue Planung für die verbleibenden Tauchgänge. Dicht liegen Licht und Schatten, Höhen und Tiefen zusammen in der modernen Meeresforschung.

Benthische Kammer (Source & Copyright © MARUM)
Benthische Kammer (Source & Copyright © MARUM)
Fauna Besiedlung (Source & Copyright © MARUM)
Fauna Besiedlung (Source & Copyright © MARUM)
CTD
CTD
Multicorer
Multicorer
Riggmasterarm
Riggmasterarm
OP an Deck
OP an Deck
Beide Greifarme
Beide Greifarme
Beide Greifarme
Beide Greifarme