Expeditionsbericht #03, MSM 16/1
Dem Methan im Meeresboden der Ostsee auf der Spur -
Was machen wir hier eigentlich, und warum
Heute will ich die Nachrichten von See einmal nutzen, um kurz zu erläutern, woran wir hier eigentlich forschen. Unsere Expedition MSM 16/1 steht im Dienste von drei Projekten, die alle im Rahmen von BONUS – dem Ostsee-Netzwerk von Forschungsförderinstitutionen finanziert werden, die Projekte HYPER, INFLOW, und BALTIC GAS.
HYPER beschäftigt sich mit der Frage, wie sich in der jüngeren Geschichte (~6000 Jahre) der Ostsee die Sauerstoffbedingungen am Meeresboden verändert haben, auch um zu lernen, wie sich die Verhältnisse in Zukunft ändern könnten. Sauerstofffreie Bereiche in den Tiefen der Ostsee bedeuten nicht nur, dass dort keine größeren Lebewesen am Boden mehr vorkommen, sondern auch, dass driftende Fischlarven dort absterben können. Zudem ändert der Meeresboden ohne Sauerstoff drastisch seine Fähigkeit, Nährstoffe zurückzuhalten. INFLOW versucht zu rekonstruieren, wie sich die Salzwassereinströme aus der Nordsee im Laufe der jüngeren Zeit verändert haben. Die Verhältnis der Menge von Nordseewasser, das über Belte/Sund und die Darsser Schwelle in die Ostsee fließt, und des über Flüsse und Niederschlag eingetragenen Süßwassers haben beträchtliche Auswirkung darauf, wie die Ostsee als ökologisches System funktioniert. Beide Projekte sind auf lange Sedimentkerne aus den verschiedenen Becken der Ostsee angewiesen, wie wir sie besonders gut mit FS Merian gewinnen können. Wer sich weiter in die Materie einfinden will, der sei auf unsere Factsheets zur Sauerstoffversorgung der Ostsee und zur Eutrophierung verwiesen, sowie auf die Webseiten der beiden Projekte INFLOW und HYPER.
Vor allem anderen ist diese Expedition aber die zentrale Ausfahrt des Projektes BALTIC GAS. In diesem Projekt beschäftigen wir uns mit dem Vorkommen und der Verteilung von Methangas in den oberflächennahen Sedimenten und den Flüssen des Treibhausgases vom Meeresboden in das Ostseewasser und vom Wasserkörper in die Atmosphäre. Das versuche ich heute mal verständlich für alle zu erläutern und hoffe, dass der Hochschullehrer in mir nicht mit mir durchgeht.
Methan ist nach Kohlendioxid das Klimagas, das am meisten zur vom Menschen verursachten Klimaerwärmung beigetragen hat (etwa 22%). Es hat sich seit Beginn der industriellen Revolution in der Atmosphäre mehr als verdoppelt, und über die Hälfte der Methanfreisetzung in die Atmosphäre ist heute menschlich verursacht, etwa durch Viehzucht, Erdgas und Kohleförderung, Massenhaltung von Wiederkäuern, Reisanbau etc.. Von den natürlichen Methanquellen sind die bei Weitem wichtigsten Quellen die Feuchtgebiete. Hierbei sind die Meere von geringer-, Frischwassersysteme hingegen von immenser Bedeutung. Um das zu verstehen, hier ein ganz kurzer Abriss wie Methan am Boden von Gewässern entsteht – und wieder verschwindet.
Wenn biologisch gebildetes Material auf den Meeresboden fällt, so wird dieses wieder zersetzt (veratmet, remineralisiert). Dabei wird Sauerstoff verbraucht, genauso, wie er bei der Bildung (Photosynthese) freigesetzt wurde. Ist der Sauerstoff nicht mehr da (anaerobe Bedingungen), gibt es noch eine Reihe anderer Substanzen, mit deren Hilfe die tote Biomasse weiter abgebaut wird, allen voran das Sulfat, das dann unter Abgabe von Sauerstoff in Schwefelwasserstoff umgewandelt wird. Klingt komplex, kennt aber jeder, der schon mal einen Abfluss reinigen musste. Es riecht faulig (Schwefelwasserstoff) und die Ablagerungen sind tiefschwarz (Bildung von meist schwarzen Sulfiden). Ist auch kein Sulfat mehr da, wird beim weiteren Abbau schließlich Methan gebildet. Auch das haben die meisten schon mal beobachtet, in Form von Gasblasen, die vor allem im Sommer aus Hafenbecken, Seen oder im Watt aufsteigen.
Das im Ozean reichlich vorhandene, im Frischwasser in der Regel in nur sehr geringen Mengen vorkommende Sulfat bedingt auch den großen Unterschied der Bedeutung von Frischwasser- und Meeresgebieten. Zum einen wird das Methan erst gebildet, wenn die große Menge Sulfat aufgebraucht ist, also in größerer Tiefe im Sediment. Vor allem aber wird gebildetes Methan, das in Richtung Oberfläche des Sediments transportiert wird, mit Hilfe des dort noch vorhandenen Sulfats veratmet. Dieser Filtermechanismus für im Meeresboden gebildetes Methan ist viel effektiver als in Frischwassersystemen, und sorgt dafür, dass der übergroße Teil des Treibhausgases nicht in Richtung Wasserkörper und Atmosphäre entweichen kann.
Die Ostsee ist ein wohl einzigartiges natürliches Versuchslabor für den Methankreislauf. Im Westen, etwa im Kattegat, ist das Wasser fast reines Meerwasser, im Nordosten, der Bottenwiek, ganz stark ausgesüßt, fast wie ein See. Ideal also, um die Unterschiede zwischen Meer und Seen in Hinblick auf die Bildung und Zersetzung des Treibhausgases zu untersuchen. Außerdem wird in der Ostsee, seit sie in etwa so „funktioniert“ wie heute, also Süß- und Salzwasser im Zusammenwirken die Ostsee zu einem Brackwassermeer machen, sehr viel Biomasse gebildet und abgelagert. Das führt dazu, dass vor allem in den Becken der Ostsee, wo das tote Material vermehrt abgelagert wird, viel Methan gebildet und freigesetzt wird. In dem sehr feinkörnigen Material kann das Methan aber nicht entweichen und bildet so ein breites Netz von Flachgasvorkommen in den oberen Sedimentschichten, die mit akustischen Methoden nachgewiesen werden können.
Zwei der Haupteinflüsse auf die Bildung und Zersetzung von Methan haben und werden wir in Zukunft weiterhin stark beeinflussen. Intensive Landwirtschaft in den Anrainerstaaten führte zu einer deutlichen Erhöhung der Produktion von Biomasse und damit auch der Menge toten Materials, die auf den Meeresboden fällt und umgewandelt werden kann. Und die globale Erwärmung wird sich – glaubt man den Modellen - im Ostseeraum verstärkt auswirken. Die Temperatur ist vielleicht die wichtigste Schlüsselgröße für das Gleichgewicht von Methanbildung und Abbau, denn beide Prozesse werden von Mikroorganismen (Bakterien und Archaeen) durchgeführt, deren Funktion stark temperaturabhängig ist. Fragen, die wir uns stellen können, sind also nicht nur die nach dem heutigen Methanhaushalt am Boden der Ostsee, sondern auch
- Wird der Ostseeboden in Zukunft mehr Methan an Ozean und Atmosphäre abgeben?
- Wird es vermehrt dazu kommen, dass der Meeresboden das gebildete Methan nicht mehr halten kann (Störungen und Gaseruptionen)?
- Welches sind die Schlüsselgebiete die am empfindlichsten auf zukünftigen Klima- und Nutzungswandel der Ostsee reagieren?
Und schließlich kann man die Frage stellen, ob es noch richtig ist, die Methanfreisetzung aus Feuchtgebieten und Küstenmeergebieten als rein natürlich zu betrachten.
Appetizer
Die in den oberen Sedimenten vorkommenden Flachgasvorkommen lassen sich mit akustischen Methoden von Bord aus nachweisen. In den Sedimenten kann man nicht nur das Methan oder die bei der Umsetzung beteiligten chemischen Komponenten bestimmen, sondern auch mit Hilfe radioaktiver Substanzen direkt die Bildungs- und Zersetzungsraten messen. Im Wasser lässt sich das Spurengas bis zu geringsten Mengen hochgenau analytischnachweisen, und mit einem speziellen Messsystem können wir die Abgabe des Klimagases durch die Meeresoberfläche bestimmen. Wie wir das machen? Dazu das nächste Mal mehr...
Prof. Dr. Gregor Rehder, August 2010
Berichte von See
- Expeditionsbericht #01
- Expeditionsbericht #02
- Expeditionsbericht #03
- Expeditionsbericht #04
- Expeditionsbericht #05
- Expeditionsbericht #06
Wochenberichte
- Wochenbericht #1
8. August 2010
[pdf, 460kb] - Wochenbericht #2
15. August 2010
[pdf, 410kb] - Wochenbericht #3
22. August 2010
[pdf, 141kb]
Eckdaten
- Forschungsschiff:
FS "Maria S. Merian" - Start:
Rostock 31. 7. 2010 - Zwischenstop:
Visby / Gotland 8. 8.2010 - Fahrtende:
Emden 23. August 2010 - 23 Wissenschaftler:
MSM 16/1a
MSM 16/1b - Projekte: