Ostseeforschung aus dem All
Mithilfe der Fernerkundung können in den Meereswissenschaften große Seegebiete nahezu zeitgleich erfasst und untersucht werden - ein wertvolles Mittel, um zum Beispiel die Entstehung sommerlicher Cyanobakterienblüten (umgangssprachlich: Blaualgenblüten) zu verfolgen. Die IOW-Arbeitsgruppe Fernerkundung um den Physiker Herbert Siegel unterstützte bis Herbst 2018 mit der Bearbeitung und Auswertung entsprechender Satellitenbilder die zuständigen regionalen Ämter und Behörden bei der Überwachung der hiesigen Küstengebiete.
Möglich wird diese Art der Meeresbeobachtung durch Sensoren tragende Satelliten auf unterschiedlichen Flugbahnen um die Erde. Polumlaufende Satelliten ermöglichen eine globale Abdeckung. Geostationäre Satelliten fliegen mit der Geschwindigkeit der Erdrotation in 30.000 km Höhe und schauen so immer auf dieselbe Hälfte der Erde. Der vermutlich berühmteste Satellit ist Meteosat, denn er liefert uns täglich den Wetterfilm. Für die Überwachung der Ostsee nutzt die Arbeitsgruppe Fernerkundung am IOW die Daten einer ganzen Reihe von Satelliten, unter anderem von der US-Amerikanischen Raumfahrtagentur NASA und dem europäischen Pendant ESA.
Die Sensoren auf diesen Satelliten erfassen die elektromagnetische Strahlung (also auch Wärmestrahlung und Licht), die von der Erdoberfläche reflektiert oder emittiert wird. Über die verschiedenen Spektralbereiche der erfassten Strahlung lassen sich unterschiedliche Eigenschaften des Meeres erkennen. Die Arbeitsgruppe Fernerkundung / Meeresoptik des IOW nutzt deshalb Satellitendaten sowohl im sichtbaren als auch im infraroten Spektralbereich, um der Ostsee möglichst viele Informationen zu entlocken. Während im sichtbaren Spektralbereich die Sensoren die Wasserfarbe erfassen, erkennen sie im thermischen infraroten Bereich die emittierte Wärmestrahlung, aus der sich die Temperatur der Wasseroberfläche ableiten lässt.
Wasseroberflächentemperatur, Wasserfarbe sowie Chlorophyll- und Gelbstoffgehalt sind die wichtigsten Parameter, die in der Arbeitsgruppe Fernerkundung/Meeresoptik mithilfe der Satellitendaten erfasst und analysiert werden.
Im Detail: Erfassung der Wasseroberflächentemperatur
Die Entwicklung der Wasseroberflächentemperatur der Ostsee wird von der Arbeitsgruppe Fernerkundung auf der Grundlage von Daten des amerikanischen Wettersatelliten NOAA 19 und des europäischen Wettersatelliten MetOp-2 untersucht. Betreiber der amerikanischen Wettersatelliten ist die NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration), der europäische Wettersatellitenbetreiber ist EUMETSAT. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), verantwortlich für die Überwachung (Monitoring) der Nord- und Ostsee, betreibt eine Satellitenempfangsstation in Hamburg und empfängt je Satellit die Daten von bis zu 4 Überflügen am Tag. Diese täglichen Satellitendaten werden dem IOW bereitgestellt und hier zu farbigen Karten der Wasseroberflächentemperatur der gesamten Ostsee oder als Ausschnitte für besondere Aufgaben gezielt verarbeitet.
Auf dieser Basis werden die thermische Entwicklung der Ostsee verfolgt und Besonderheiten für die jährliche Zustandseinschätzung der Ostsee und das Faktenblatt der HELCOM (Helsinki-Kommission) herausgearbeitet. Mit den Langzeitdaten lassen sich zwischenjährliche Variationen und Trends ableiten. Die Jahresmitteltemperatur der Ostseeoberfläche stieg demnach bis 2008 kontinuierlich an, stagniert seitdem aber auf diesem erhöhten Niveau.
Die Temperatur liefert aber auch Informationen über die Reaktion der Ostsee auf unterschiedliche Wetterlagen mit typischen Windrichtungen, die zu charakteristischen Temperaturmustern führen. So erzeugen östliche Winde während einer sommerlichen Hochdrucklage an der deutschen Ostseeküste einen seewärtigen Transport des Oberflächenwassers weg von der Küstenlinie. Dieses wird durch aufquellendes kaltes und klares Tiefenwasser ersetzt, was schon so manchen Urlauber im Hochsommer überrascht hat. (Bild 1 zeigt eine typische Temperaturverteilung an der Wasseroberfläche bei Ost- und Westwind). Das Team um Herbert Siegel hat eine Systematisierung der dynamischen Prozesse entlang der gesamten deutschen Ostseeküste und des Oderausstromes in die Pommernbucht für die 8 Hauptwindrichtungen vorgenommen. Sie hilft dem Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG) bei der Interpretation der Messungen im Küstenmonitoring.
Im Detail: Die Wasserfarbe
Satellitendaten im sichtbaren Spektralbereich bezieht das IOW von der US-amerikanischen Raumfahrtagentur NASA und der europäischen Raumfahrtagentur ESA. Die NASA betreibt aktuell zwei identische Sensoren MODIS (Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer), die an Bord der Satelliten Terra und Aqua die Erde umkreisen. Die Sensoren messen bei diskreten Wellenlängen verteilt über das gesamte sichtbare Spektrum des Lichts, woraus sich in Kombination die Wasserfarbe ergibt. Diese wird durch die Absorptions- und Streueigenschaften des Meerwassers selbst und der darin gelösten und schwebenden Inhaltsstoffe (optisch wirksame Wasserinhaltsstoffe) erzeugt und modifiziert. Die wichtigsten optisch wirksamen Wasserinhaltsstoffe sind Chlorophyll-a als Maß für die Phytoplanktonbiomasse, Gelbstoff als Maß für die absorbierenden gelösten organischen Substanzen sowie für anorganische und organische Schwebstoffe.
Durch die hohe Absorption des reinen Wassers im roten Spektralbereich wird blaues Licht zurückgestreut. Deshalb erscheint das klarste Ozeanwasser blau. Je nach Phytoplanktongehalt und Gelbstoffanteil kann diese „Grundfarbe“ des Wassers massiv verändert werden. Phytoplankton absorbiert durch das für die Photosynthese wichtigste Pigment Chlorophyll-a blaues und rotes Licht und färbt das Wasser deshalb blau-grün. Gelbstoff ein Stoffwechsel- und Abbauprodukt in produktiven Meeresgebieten, das in unseren Breiten aber meist in Moorgebieten entsteht und von dort über die Flüsse ins Meer getragen wird, färbt durch seine starke Absorption im kurzwelligen violetten und blauen Spektralbereich in geringer Konzentration das Wasser grün wie in der Ostsee. Sehr hohen Gelbstoff-Konzentrationen können zu einer dunklen rotbraunen Farbe (Schwarzwasserflüsse) führen. Eine Erhöhung der Anzahl von Schwebeteilchen macht das Wasser aufgrund der verstärkten Lichtstreuung trüb bis milchig. Eine detaillierte Beschreibung der Entstehung der Wasserfarbe finden Sie unter http://www.io-warnemuende.de/allgemeine-themen.html.
Die Hürden auf dem Weg des Lichtes
Die Farbinformation, die das Wasser verlässt, wird auf dem Weg zum Satelliten stark durch die Atmosphäre beeinflusst. Besonders durch die Lichtstreuung an allen Teilchen der Luft, von den Molekülen bis zu den Aerosolen, kann die Atmosphäre bei wolkenfreien Bedingungen bis zu 95 Prozent des Gesamtsignals am Sensor ausmachen. Um also das reine Signal des Meeres zu erhalten und auf Karten darzustellen, muss die Sensorinformation mithilfe entsprechender Berechnungen korrigiert werden (Atmosphärenkorrektur).
Aber die Fernerkundung hat auch ihre Grenzen: Wie das menschliche Auge kann auch ein Sensor, der im sichtbaren Bereich arbeitet, nicht durch Wolken schauen. Ist der Blick auf das Wasser frei, entscheidet die Trübung des Wassers darüber, wie tief der Sensor ins Meer blicken kann - in sehr trübem Flusswasser nur einige Zentimeter, in der Ostsee bis etwa 10 Meter und in sehr klarem Wasser auf dem offenen Ozean bis zu etwa 50 Meter. Die Informationen über die Wärmestrahlung, die von Sensoren im thermischen infraroten Bereich erfasst werden, kommen ausschließlich aus den obersten Mikrometern unterhalb der Wasseroberfläche.
Anwendungsbeispiele
Temperaturen über 16°C, hohe Sonneneinstrahlung und ruhige See sind die nötigen Wachstumsbedingungen der Cyanobakterien – auch bekannt als „Blaualgen“. Aufgrund von Gasbläschen in den Zellen haben sie einen Auftrieb und steigen bei ruhiger See auf. Dadurch entstehen Ansammlungen im Oberflächenwasser – größere Flocken bis hin zu Matten auf der Wasseroberfläche – die sich mit Wind und Strömung in typischen Filamenten ausbreiten.
Wegen der Erhöhung der Lichtstreuung in der Wassersäule und der Ansammlungen an der Oberfläche lassen sich Cyanobakterien gut mit Satellitendaten verfolgen. Weil sie zudem auch giftige Substanzen produzieren können, besteht ein gewisses Gefährdungspotential für den Menschen, wenn zum Beispiel aufgrund von bestimmten Wetterlagen große Mengen Cyanobakterien in Strandnähe geschwemmt werden.
Im Sommer verfolgt das IOW-Team deshalb die Cyanobakterienentwicklung täglich und übermittelt die Informationen an die Landesämter für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG) und für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern (LaGuS) sowie an den Tourismusverband MV. Das LaGuS kontrolliert im Falle einer Gefährdung von Urlaubern durch Cyanobakterien die Strände und sperrt gegebenenfalls zeitweilig einzelne Strandabschnitte. Der Verlauf der Cyanobakterienentwicklung wird jedes Jahr als Teil der biologischen Zustandseinschätzung der Ostsee veröffentlicht.
Mit den Satellitendaten kann das Team um Herbert Siegel besonders gut auch die Ausbreitung von Flusswasser verfolgen. So waren die ForscherInnen zum Beispiel in der Lage, die „Flusswasserfahne“ der Oder während und nach der großen Oderflut 1997 zu überwachen. Dies war notwendig, weil über die Ufer getretene Flüsse unter Umständen Giftstoffe zum Beispiel aus Industriegebieten in das Meer schwemmen können.
Die Daten sind zudem auch sehr hilfreich für die Planung und Durchführung von Schiffsexpeditionen. So wurden schon Expeditionen durch Satelliteninformation gesteuert wie zum Beispiel während der Oderflut, bei anderen Flusswasserexperimenten oder bei Untersuchungen von Phytoplanktonblüten in der Ostsee und vor Namibia. Mit den Daten der Wasseroberflächentemperatur wurden darüber hinaus geologische Methoden zur Bestimmung der Temperatur in der Vergangenheit (Paläotemperatur) an die Bedingungen in der Ostsee angepasst.
Und auch außerhalb der Ostsee wendet die Arbeitsgruppe Fernerkundung/Meeresoptik ihre Expertise an. So sind die IOW-WissenschaftlerInnen in internationale Forschungsprojekte in unterschiedlichen Gebieten des Weltozeans eingebunden. So wird im SOPRAN- Projekt der Einfluss von Saharastaub auf die marine Umwelt im Atlantik im Bereich der Kapverdischen Inseln untersucht. Im GENUS- Projekt liegt der Fokus auf den Auftriebsprozessen vor der Küste Namibias, deren Einfluss auf verschiedene Planktonblüten sowie auf der Entstehung von Schwefelausbrüchen. Im SPICE- Projekt werden die Erfahrungen aus der Ostsee hinsichtlich des Wasseraustausches zwischen Küste und offener See auf die großen Flüsse Sumatras in Indonesien übertragen.
Weiterführende Informationen
Kontakt
- Dr. Herbert Siegel
(AG Fernerkundung) - Dr. Norbert Wasmund
(AG Phytoplankton)