Die Ohrenqualle
Aurelia aurita – sensible Schönheit der Ostsee
Die Fischer mögen anders darüber denken, wenn ihre Netze im Sommer verstopft sind, oder der Badegast an dessen Körper plötzlich etwas Gallertartiges vorbeigleitet. Aber es sind Lebewesen. Sie teilen mit uns ihren Lebensraum.
Schirmquallen, zu denen die Ohrenquallen gehören, besitzen
anders als wir, ein gewisses Regenerationsvermögen ihrer Körperteile,
die Polypen mehr, als die Medusen. Trotzdem sollten wir die Tiere nicht unnötig
quälen.
Diese gallertigen Organismen sind so sensibel, dass ihre Verwandten
aus dem Süßwasser als Testobjekte zum Nachweis von Giftwirkungen in
Abwässern eingesetzt werden.
Sie besitzen Sinneszellen. Bei Aurelia sind in 8 Sinneskörpern
(Rhopalien), eine „Riechgrube“ und zwei Lichtsinnesorgane (Becheraugen mit Sehzellen)
untergebracht. Außerdem sind sie für den Gleichgewichtssinn (Statolithen!)
verantwortlich. Von diesen Zentren aus fließen auch Nervenimpulse zur Muskulatur
im unteren Schirmbereich. Dadurch kommt es zur rhytmischen Kontraktion,
eine Voraussetzung für die so anmutige Fortbewegung.
Im Laufe ihres Daseins macht Aurelia einen Generationswechsel durch. Die Meduse ist nur ein Stadium im Sommer. Etwa ab Juli sind sie „erwachsen“. Es lassen sich dann weibliche von männlichen unterscheiden. Die vier kreis- oder ohrenförmigen Geschlechtsorgane (Gonaden) sind entweder rosa oder weiß gefärbt. Die Samenzellen gelangen im Wasser zu den Eiern. In bräunlichen Bruttaschen entwickeln sich dann Planula - Larven. Sie werden ins Wasser entlassen und setzen sich im Herbst an Steinen und anderem hartem Material als Polyp fest. Ab November Dezember folgt eine ungeschlechtliche Vermehrung, wobei je Polyp genetisch einheitliches Material, also Klone, entstehen. Dabei schnüren sich an den Polypen medusenartige Larven (Ephyren) ab. Die bereits auf ein Geschlecht festgelegten Polypen produzieren wieder, entweder männliche oder weibliche Medusen. Ihr Durchmesser nimmt dann pro Tag, zwischen weniger als 1 und 3 mm zu. In warmen Jahren gibt es bis zu 30 cm große Quallen und natürlich viele. Sind die Winter mild wachsen auch schon mal zwei Generationen heran.
Die Schirmquallen ernähren sich passiv. An Tentakeln und an der Schirmoberseite sorgen Nesselkapseln zur Lähmung von kleinem, mit der Qualle in Berührung gekommenes Zooplankton (Copepoden, Hüpferlinge). Innerhalb von 1/250 Sekunde entladen sie wahrscheinlich Neurotoxine, wobei der Nesselschlauch durch 140 atm Überdruck herausgeschleudert wird. Die menschliche Haut wird im Fall der Ohrenqualle nicht verletzt. Anders bei der verwandten Feuerqualle, die vor Warnemünde bei Auftrieb salzreichen Tiefenwassers gelegentlich gefährlich werden kann. (Urin neutralisiert das Nesselgift dann kurzfristig).
Außer mit Nesselzellen sind der äußere Schirm und die Mundarme noch mit Geißeln ausgerüstet. Die in Schleim gehüllte Nahrung wird in der an der Schirmunterseite befindlichen Futter- und Geißelrinne zu Futterballen konzentriert und von dort aus durch die Mundarme dem Mundrohr zugeführt. Die durch Enzyme verdauten Nahrungsstoffe werden über ein verzweigtes Kanalsystem im Organismus verteilt.
Wenn Quallen in der Kinderstube von Fischen, z.B. Heringen, vorkommen, z.B. im Greifswalder Bodden, dann kann die Not zum Überleben der Fischlarven schon groß werden, entweder aus Nahrungskonkurrenz oder weil sie selbst verzehrt werden. Eine 25 cm groß gewordene Qualle benötigte in ihrem Leben ca. 10 g Trockenmasse, d.h. etwa 1 Millionen frisch geschlüpfter Heringslarven [nach Fraser,1969]), wobei ein Heringsweibchen jährlich etwa 22 000 Eier, respektive Larven produziert.
Die Quallen selbst haben nur uns zum Feind. Oft leben unter ihrem Schirm kleine Krebse, Hyperiden (Hyperia galba), die sich von der Qualle zur Nahrung transportieren bzw. sich diese sammeln und aufbereiten lassen.
Als natürliche Todesursache gelten der genetisch fixierte Alterstod, die eben erwähnte Parasitierung durch den Kleinkrebs sowie der Hungertod.
"Seit über 20 Jahren", so Prof. Dr. Thomas Heeger in seinem Buch "Quallen - Gefährliche Schönheiten", ist der Verzehr von Quallen ein blühendes Millionen-Dollar-Geschäft mit steigender Tendenz."
Text: Dr. Lutz Postel
Weitere Informationen
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Innerhalb Deutschlands sind die Quallenaquarien des Berliner Zoologischen Gartens, von Hagenbeck in Hamburg und dem Meeresmuseum Stralsund empfehlenswert. Vor Ort gibt es interessante Präsentationen, einschließlich der Quallenreproduktion, im Darwineum und im Polarium des Rostocker Zoos.
Abbildungsnachweis:
- Abb.1, 51, 52 aus: Kaestner,A. 1984. Lehrbuch der Speziellen Zoologie. Band 1, Wirbellose Tiere, 2.Teil. (Hrsg.: H.-E. Gruner). Gustav Fischer, Jena: 621 S.
- Abb. 47 aus: Kükenthal,W., Matthes, E. 1967. Leitfaden für das Zoologische Praktikum. Gustav Fischer, Jena: 512 S.
- Abb. 234, 236 aus: Westheide,W., Rieger R. (Hrsg.) 1996. Spezielle Zoologie. 1.Teil Einzeller und Wirbellose Tiere. Gustav Fischer, Jena, New York: 909 S