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Frage:

Warum gibt es in der Ostsee eine so geringe Tide?

Antwort:

Gezeiten spielen in der Ostsee eine sehr geringe Rolle und sind zumeist überdeckt von den Wasserstandsänderungen, die das wechselnde Wetter bewirkt. So ist auch das wissenschaftliche Interesse an der Erforschung dieser Gezeiten relativ gering. Einen Überblick über einige Forschungsergebnisse kann man sich z.B. im Internet auf http://www.ssc.erc.msstate.edu/Tides2D/baltic_sea.html oder http://www.modlab.lv/publications/1999/publ7.htm verschaffen. Wer es genauer wissen will, sollte die Werke von z.B. deutschen Meeresforschern wie Dietrich oder Defant lesen.

Warum sind die Gezeiten in der Ostsee so gering? Primär werden Gezeiten durch Sonne und Mond verursacht, und die zugehörigen Wellen (Wasserberge und -täler) haben eine Wellenlänge von einem halben Erdumfang (d.h. 12h), je nach Breitengrad also einige 1000 Kilometer. Deshalb muß sich ein Gewässer sehr weit in Ost-West-Richtung erstrecken, damit sich in ihm direkt Gezeiten bilden können, man also etwa an einem Ende das Tal und am anderen den Berg zur gleichen Zeit beobachten kann. Die Ostsee erstreckt sich ca. 1000 km in Nord-Süd-Richtung, und etwa gleich weit von Ost nach West. Die entsprechenden Tiden wären nicht sehr groß, und sie werden weiter behindert durch die Tatsache, dass die Südliche Ostsee und der Finnische Meerbusen relativ eng und flach sind.

Dann besteht die Möglichkeit, dass ein Randmeer wie die Nordsee passiv an den Tiden der Ozeane teilnimmt. Während die Nordsee aber eine weite Verbindung mit dem Atlantik hat, durch die große Wassermengen in kurzer Zeit ein- und ausströmen können, ist die Ostsee mit dem Weltmeer nur durch die engen und flachen Dänischen Straßen (Großer Belt, Sund) verbunden. Stellen wir uns vor, der Pegel im Kattegat sei um 1 Meter angestiegen. Dann würde es ca 10 Tage dauern, bis genug Wasser in die Ostsee eingeströmt ist, damit auch dort der Pegel 1 Meter höher liegt. Würden Gezeiten statt 12 Stunden eine Periode von 20 Tagen haben, so würde auch die Ostsee den vollen Tidenhub mitmachen. Die Oberfläche der Ostsee beträgt etwa 350 000 Quadratkilometer. Man kann leicht ausrechnen, wieviel Wasser in je 6 Stunden einströmen und in den nächsten 6 Stunden wieder ausströmen müsste, um den Pegel der gesamten Ostsee um 1 Meter schwanken zu lassen.

Schließlich gibt es noch die Variante, dass in einem Gewässer resonante, stehende Wellen im Takt der Gezeiten angeregt werden. Ein ganz typischer solcher Fall ist das Rote Meer, das sich etwa 1500 km von Nord nach Süd erstreckt, und das nur durch die Meerenge Bab-El-Mandab mit dem Indischen Ozean verbunden ist. Man beobachtet im Roten Meer an den Schwingungsbäuchen Tiden von 1-2m Hub, da das Wasser des Roten Meeres innerhalb des Beckens hin- und herpendeln kann, angestoßen durch einen relativ kleinen Austausch mit dem Indik. Das geht, weil das Rote Meer ein tiefes, gerades Becken ist. In der Ostsee verhindern die zahl- reichen Inseln und Untiefen, dass sehr viel Wasser von einem zum anderen Ende innerhalb weniger Stunden strömen kann.

Die Tiden der Ostsee betragen zumeist nur einige Zentimeter, und nur am Ausgang der Dänischen Straßen ist der Nachhall der Gezeiten der Nordsee etwas deutlicher wahrzunehmen.

Diese Frage wurde durch Dr. Rainer Feistel beantwortet, Physikalischer Ozeanograph am Institut für Ostseeforschung Warnemünde.

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