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Der Zauber einer verborgenen Welt

Haminoea solitaria
(Haminoea solitaria – © Foto Greta Feddersen)

… und sie erhob ihre Hände zum Himmel. Ihre hypnotisierenden Augen glitzerten gefährlich und richteten sich voller Konzentration auf ihn: „Heteromastus filiformis! Cheirocratus sundevalli! Prionospio steenstrupi!“

Hören sich diese Aussprüche nicht wie geheimnisvolle und fremdartige Zaubersprüche oder Beschwörungsformeln aus mystischer, längst vergessener Zeit an?! Dies sind genaue Speziesnamen von im Benthos der Ostsee lebender Organismen.

Auch diese Welt voller Schlamm, Sand und Steinen birgt einen Zauber in sich. Kaum zu glauben, dass dort versteckt und mit dem bloßen Auge nur schwierig zu erkennen und zu identifizieren eine ganz eigene Welt voller bizarrer Schönheit zu finden ist. Die Tür zu dieser Welt eröffnet das Binokular.

Ich bekomme durch mein freiwilliges Jahr im Leibniz Institut für Ostseeforschung diese Möglichkeit eine neue Welt zu entdecken, die vielen Menschen verborgen bleibt.

Ich arbeite in der Biologischen Meereskunde in der Arbeitsgruppe Ökologie benthischer Organismen. Der größte Teil meiner Aufgaben besteht darin, benthische Proben aus verschiedenen Meeren wie der Ostsee und der Nordsee anzuschauen. Erst beim Blick durch das Bino wurde mir die Artenvielfalt deutlich, die im Sediment vorhanden ist. Ich bestimme die unterschiedlichen Arten – Würmer, Schnecken, Muscheln, Krebstiere,… – und wiege deren Feuchtmasse. Die in Protokollen aufgeschriebenen Ergebnisse werden in eine Datenbank eingespeist und dienen den Wissenschaftlern zum Beispiel für Langzeitstatistiken. Im Labor wurde ich von meinen super netten Kolleginnen in die Theorie eingearbeitet. Teilweise unterscheiden sich die Arten nur durch einen winzigen Merkmalsunterschied – gerade das macht es immer wieder spannend. Jeden Tag werde ich durch die tolle Arbeitsatmosphäre motiviert und unterstützt.

Direkt in der zweiten Woche, die ich im Institut verbrachte, bekam ich die Gelegenheit, beim Küstenmonitoring mitzufahren. Mit einer Wathose ausgerüstet durfte ich vom Ufer aus ins Meer und in den Bodden verschiedener Beprobungsstellen rund um Rostock waten, Wasserproben zur Sauerstoffbestimmung nehmen, das Sediment aus den Stechproben sieben, sodass nur die zu bestimmenden Tiere übrig blieben, und mit dem Pfahlkratzer an Hafenmauern und Stegen Muscheln, Schnecken und Algen zur Bestimmung abkratzen.

In Proben des Küstenmonitorings im Herbst 2017, bei dem ich schon dabei sein durfte, tauchte erstmals bei der Station Hohen Wieschendorf ein Neozoon auf. Die Schnecke Haminoea solitaria ist ursprünglich vor der Ostküste der USA beheimatet. Für die Wissenschaftler sind die Neozoa ein spannendes Forschungsfeld. Wie wird sich die neue Art etablieren und wird es Auswirkungen auf die bisherige Lebensgemeinschaft geben? Ich habe die Möglichkeit bekommen, mich genauer mit dieser neuen Schnecke, Haminoea solitaria, zu beschäftigen. Neben der Recherche historischer und neuerer Quellen, schaue ich mir die Tiere auch ganz genau unter dem Bino an und beschreibe sie. Für den Steckbrief, den ich über die Art verfasse, sind auch Fotos der Schnecke entstanden, die ich mit dem Fotobino gemacht habe. Im Küstenmonitoring im Frühjahr werde ich selbst auf die Suche nach Individuen der Schnecke gehen, um auch quantitative Ergebnisse in meine Arbeit mit einbeziehen zu können. Wird sie sich in der Ostsee weiter ausgebreitet haben und nun auch schon an anderen Stationen vorkommen? Sowohl die praktische Arbeit als auch das Verfassen der Arbeit über Haminoea solitaria vermitteln mir in diesem Jahr einen Einblick in das wissenschaftliche Arbeiten.

Auch in den anderen Sektionen des Institutes sowie im Schülerlabor, in welchem die großen Zusammenhänge der Ostsee vermittelt werden, kann hospitiert werden.

Weiterhin werde ich im Juni an einer Forschungsausfahrt mit der Elisabeth Mann Borgese auf der Ostsee teilnehmen. Darauf bin ich schon sehr gespannt!