Phytoplanktonentwicklung an der Küstenstation "Seebrücke Heiligendamm" im Jahre 2010
Die Sektionen Biologische Meereskunde und Meereschemie des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) führen wöchentliche Probennahmen an der Seebrücke Heiligendamm (54°08,55' N; 11°50,60' E) durch. Hier werden die Ergebnisse der Phytoplankton-Untersuchungen vorgestellt. Es wurde Oberflächenwasser mit einer Pütz entnommen.
Die Phytoplanktonbiomasse wurde durch mikroskopische Zählung (UTERMÖHL-Methode) und die Chlorophyll-a-Konzentration durch Ethanol-Extraktion und fluorometrische Messung bestimmt. Dabei wurden die Methodenvorschriften von HELCOM zugrundegelegt
(http://www.helcom.fi/groups/monas/CombineManual/AnnexesC/en_GB/).
Die Zählung der Phytoplankton-Proben erfolgte mit dem Zählprogramm OrgaCount und basiert auf der HELCOM-Artenliste, die jährlich aktualisiert wird: http://www.ices.dk/env/repfor/index.asp (Grundlagen siehe in Olenina et al. 2006). Die spezifischen analytischen Bedingungen der Chlorophyll-a-Bestimmung sind in Wasmund et al. (2006) dargelegt. Es werden hier entsprechend der Entscheidung der BLMP-Unter-Arbeitsgruppe Qualitätssicherung vom 11.9.2008 die Chlorophyll-a-Konzentrationen angegeben, die nicht für Phaeopigment korrigiert sind.
An 12 Messtagen war es sturmbedingt zu hohen Sedimentanteilen in den Proben gekommen, die eine mikroskopische Auswertung unmöglich machten. Eine Chlorophyllbestimmung war außer in Woche 6 aber möglich.
Erwartungsgemäß war die Phytoplankton-Biomasse in den ersten Wochen des Jahres sehr gering. Die Chlorophyll-a-Werte lassen vermuten, dass auch während der Periode massiven Probenausfalls bis zum 9.2.2010 kein wesentliches Phytoplanktonwachstum stattfand. Ab dem 16.2.2010 (Woche 7) kam es bereits wie im Vorjahr zu einer Kieselalgenentwicklung, jetzt allerdings nicht durch Thalassiosira spp. , sondern durch Rhizosolenia setigera (Bild 1) und wie üblich durch Skeletonema costatum .
Im Gegensatz zum Jahre 2009 konnte sich neben Skeletonema costatum in der ab Woche 10 folgenden Blüte weitere Arten durchsetzen. Die Frühjahrs-Kieselalgenblüte bestand am peak (16.3.2010, Woche 11) im wesentlichen aus Rhizosolenia setigera (801 mg m-3), Skeletonema costatum (787 mg m-3), Chaetoceros wighamii (617 mg m-3) und Thalassiosira spp. (253 mg m-3 ) zusammen. Überraschend war das bereits im Jahre 2008 gefundene spontane Auftreten der Euglenophycee Eutreptiella sp. (350 mg m-3) . Gleichzeitig erreichte die Chlorophyll-a-Konzentration mit 12.25 mg m-3 bereits ihr Jahresmaximum. Wir fanden also im Jahre 2010 wie bereits in 2009 eine sehr frühe Frühjahrsblüte die zu 80% aus Kieselalgen gebildet wurde, wobei diese eine erstaunliche Diversität zeigten.
Die Blüte brach bis zur 13.Woche schnell wieder zusammen, während sich jetzt vorwiegend heterotrophe Dinoflagellaten (Protoperidinium pellucidum et spp. , Gymnodiniales) entwickelten.
Dann kehrten die Kieselalgen in der 14./15. Woche zurück, begleitet von hohen Biomassen des Ciliaten Mesodinium rubrum . Nun wurde diese zweite Kieselalgenentwicklung wie erwartet von Skeletonema costatum (333 mg m-3 in Woche 15) dominiert. Erstaunlicherweise verschwand Skeletonema costatum zur 15. Woche (13.4.2010) fast komplett, während spontan eine Blüte von Coscinodiscus radiatus (966 mg m-3, Bild 2) erschien. Die Kieselalgen verschwanden bis zum 4.5.2010 komplett, aber auch Mesodinium rubrum ging deutlich zurück, während sich heterotrophe Flagellaten offensichtlich auf der Basis der organischen Reste der Blüte gut entwickelten. Am 18.5.2010 dominierte nochmals Coscinodiscus radiatus (Bild 2).
Es ist erstaunlich, dass die sonst meistens stark in der Frühjahrsblüte vertretenen Dictyochophyceen nur gering entwickelt waren. Sie wurden in Abb. 1 unter den Chrysophyceen dargestellt, die im Jahre 2010 die 35 mg m-3 nicht überschritten.
Der Kieselflagellat Dictyocha speculum war in den Jahren 2007 und 2008 sogar erstaunlich früh aufgetreten. Dessen ungewöhnliche Entwicklung in den Jahren 2007 und 2008 setzte sich in den Jahren 2009 und 2010 also nicht fort.
Die schnell aufeinander folgenden Wechsel der dominierenden Arten sind sicher nicht auf schnelle Wachstumsprozesse und entsprechende Sukzessionen zurückzuführen, sondern sie zeigen das Vorbeidriften unterschiedlicher Wasserkörper mit unterschiedlichem Arteninventar an der festen Untersuchungsstation an. Dadurch erhält man einen Eindruck von der Heterogenität des Seegebietes und von der Breite des Artenspektrums zu verschiedenen Zeiten.
Vom 8.6. bis 3.8.2010 stellte sich eine Phytoplanktongemeinschaft von geringer Biomasse, aber hoher Diversität ein. Bemerkenswert ist das Erscheinen von Chrysochromulina sp. am 8.6.2010, das für seine potenzielle Toxizität bekannt ist (Bild 3). Die Frühjahrsarten Coscinodiscus radiatus und Skeletonema costatum traten sogar nochmal am 22.6.2010 (Woche 25) auf. Die Chlorophyll-a-Konzentrationen überstiegen vom 8.6. bis 3.8.2010 die 3 mg m-3 lediglich am 27.7.2010 (30. Woche) knapp, als die Cyanobakterien ihren bisherigen Höhepunkt hatten (Nodularia spumigena : 57 mg m-3; Aphanizomenon sp. : 79 mg m-3). Bemerkenswert ist an diesem Tag ein Vorkommen der Prasinophycee Pyramimonas sp., die in Abb. 1 unter „Others“ erfasst wurde (Bild 4).
Am 10.8.2010 (Woche 32) kam es zu einem weiteren Populationswechsel: Es erschienen der Dinoflagellat Alexandrium pseudogonyaulax (140 mg m-3, Bild 5) und die typische Sommer-Kieselalge Dactyliosolen fragilissimus (113 mg m-3). Es war der erste identifizierte Fund von Alexandrium pseudogonyaulax in der bisherigen Probenserie des IOW.
Am 17.8.2010 wurde die Herbst-Kieselalge Coscinodiscus granii dominant, und sie entwickelte sich neben Dactyliosolen fragilissimus weiter und blieb bis zum 21.9.2010 (38. Woche) die dominante Kieselalge. Parallel tauchte bereits der Herbst-Dinoflagellat Ceratium spp. auf sowie die Kieselalge Melosira moniliformis . Hervorzuheben ist, dass zu diesem späten Termin das für den Sommer typische Cyanobakterium Nodularia spumigena mit 236 mg m-3 auftauchte, aber anschließend auch wieder verschwand.
Wie schon im Herbst 2009 dominierten auch im Herbst 2010 eindeutig die Kieselalgen, während die sonst ebenfalls blütenbildenden Dinoflagellaten (Ceratium spp.) fast komplett fehlten. Die wichtigsten Kieselalgen waren am 5.10.2010 (40.Woche) Chaetoceros socialis (793 mg m-3, Bild 6), Cerataulina pelagica (418 mg m-3) , Pseudosolenia calcar-avis (376 mg m-3, Bild 7), Pseudo-nitzschia spp. (324 mg m-3) und Chaetoceros curvistus (135 mg m-3) . Die Art Chaetoceros socialis ist in diesen Massen ungewöhnlich. Die Art Pseudosolenia calcar-avis ist neu für die IOW-Artenliste. Am 12.10.2010 wurde der peak erreicht mit Cerataulina pelagica (1844 mg m-3), Pseudosolenia calcar-avis (684 mg m-3) und Pseudo-nitzschia spp. (673 mg m-3). Diese Blüte hielt mindestens bis zum 9.11.2010 (Woche 45) an. Die Minima in den Wochen 43 und 46 dürfen nicht quantitativ gewertet werden, da die Zählungen durch hohen Sandanteil nicht möglich waren und nur einen qualitativen Überblick erlaubten. Die Proben ab Woche 47 waren absolut nicht auswertbar.
Eine im Jahre 2009 gefundene ungewöhnlich späte Kieselalgen-Herbstblüte konnte im Jahre 2010 wegen nicht auswertbarer Proben nicht nachgewiesen werden, aber die relativ hohe Chlorophyll a-Konzentration am 14.12.2010 (50. Woche) könnte auf eine späte Blüte hindeuten. Schon im Jahre 2008 wurde ein spätes Auftreten einer Herbstblüte von Coscinodiscus granii erst am 16.12.08 verzeichnet. Sollte dieses Phänomen, zusammen mit einer sehr frühen Frühjahrsblüte, in kommenden Jahren bestätigt werden, wäre dies ein Hinweis auf eine Verlängerung der Vegetationsperiode, die möglicherweise durch die Tendenz zur Erwärmung hervorgerufen wird.
Literatur:
Olenina, I., Hajdu, S., Andersson, A.,Edler, L., Wasmund, N., Busch, S., Göbel, J., Gromisz, S., Huseby, S., Huttunen, M., Jaanus, A., Kokkonen, P., Ledaine, I., Niemkiewicz, E. (2006): Biovolumes and size-classes of phytoplankton in the Baltic Sea. Baltic Sea Environment Proceedings No.106, 144pp.
Internet-Zugang:
Paper: http://www.helcom.fi/stc/files/Publications/Proceedings/bsep106.pdf
Tabelle: http://www.helcom.fi/stc/files/Publications/Proceedings/bsep106ANNEX1Biovolumes_web.xls
Wasmund, N., Topp, I., Schories, D. (2006): Optimising the storage and extraction of chlorophyll samples. Oceanologia 48: 125-144.
IOW, 04.02.2011
Dr. Norbert Wasmund,
Susanne Busch,
Ina-Marie Topp,
Regina Hansen.
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